Der Kunst- und Gewerbeverein Regensburg e.V. betritt mit diesem Ausstellungsformat in seiner über 175jährigen Geschichte Neuland. Zum ersten Mal vergibt der Kunst- und Gewerbeverein Regensburg einen Auftrag für die Entwicklung und Umsetzung einer Konzeptausstellung, die nur aus Installationen besteht. Gleichzeitig würdigt der Kunst- und Gewerbeverein damit auch drei junge Künstler, die in ihren zehn Jahren seit ihrem Studienabschluss mit großer Innovationskraft und überaus erfolgreich gesellschaftliche Themen aufgreifen und in ihrem Kunstschaffen mit allen bildnerischen Mitteln arbeiten.

Zu den einzelnen Installationen

In den multimedialen Installationen DON’T BE MAYBE und OLD HABITS DIE HARD (beide 2020) von Felix Burger ist jeweils eine Vielzahl humanoider Puppen in silbernen Overalls technoiden Apparaturen ausgesetzt, die sie merkwürdigen, regelmäßig-ritualhaft anmutenden Manipulationen von unklarem Nutzen oder Schaden unterziehen. In OLD HABITS DIE HARD liegen 140 silberne Overalls in symmetrischer Anordnung auf einer reflektierenden Oberfläche. Anstelle eines Kopfes tragen sie leere Helme – abstrahierte Bestrahlungsschutzmasken aus der Onkologie. Einzelne Körperteile sind durch kryptische Symbole gekennzeichnet, UV-Lampen erhellen die beschädigten Stoffhüllen und lassen einige im Schwarzlicht aufleuchten. Vier synchron geschaltete Videos auf Flachbildschirmen verleihen den leeren Helmen Stimmen und machen dadurch sie zu jammernden Individuen. In 3-D-Videosequenzen erläutern sie in kurzen fragmentarischen Texten ihre biografische Herkunft und berichten von ihren persönlichen Leiden: Angst, Einsamkeit, Isolation, soziale Überforderung, Ungerechtigkeit und sexuelle Funktionsstörungen. Die Stimmen überlagern sich, sprechen mal chorisch synchron, mal durcheinander. Eine verspiegelte Wand erweitert das bühnenartige Lazarett ins Unendliche.

OLD Habits Die Hard I Raumspezifische Installation mit Stoffoveralls, chrommatten, Spiegelplatten, UV-Licht, 4 – Kanal Video | 10 × 8 m I Mixed Media I Felix Burger I 2020

In DON’T BE MAYBE sind kopflose Puppen in silbernen Anzügen in einem stilisierten Fitnessstudio in unterschiedlichen Posen auf großen Spiegelplatten platziert. Kurze Videosequenzen auf Tablet-Screens erklären verschiedene körperliche Übungen, die die Figuren simulieren. Ihre Bewegungen werden von umgebauten Sexmaschinen gesteuert, welche die Gliedmaßen im monotonen Rhythmus vor- und zurückbewegen. Zusätzlich fließt grüne Flüssigkeit in Transfusionsschläuchen von ihren Genitalien in Spraydosen der Marke Playboy hinein. Auf einem zentral über dem Ensemble hängenden Großbildschirm läuft ein stark verlangsamtes Video, das zwei maskierte Kämpfer zeigt, die in einer Art Wettbewerb versuchen, sich gegenseitig zwischen den Beinen zu verletzen, um dadurch eine gewisse Anzahl an Punkten zu erlangen. Piktogramme an der Wand verweisen auf verschiedene Körperstellungen und erlaubte Griffe. Ein zweiter Monitor zeigt eine entkleidete Puppe, die sich, am Boden eines Hotelzimmers kauernd, mit dem Playboy¬Spray die zwitterhaften Genitalien kühlt. Durch die verspiegelten Wände des Ausstellungsraumes werden die Betrachter direkter Teil des bühnenhaften Ensembles.

Don’t Be Maybe I Raumspezifische Installation mit Puppen, Spiegelplatten, Sexmaschinen, Tablets, Siebdrucken, Metallständern, 2 – Kanal Video 4k I 4 × 8 m I Mixed Media I Felix Burger 2020

Um ein Ritual kreist auch die performative Installation MEHRUNG (2011) von Böhler & Orendt. MEHRUNG ist eine fortlaufende Serie, die auf der Fiktion einer Geheimgesellschaft beruht, deren Mitglieder sich vollständig der Idee des exponentiellen Wachstums verschrieben haben. Die Performer sind durch sackartige Masken anonymisiert und huldigen schweigend in einer ritualisierten Prozedur ihrem Wachstumsglauben: Aus bunten Bastelmaterialien stellen sie eine stetig wachsende Anzahl von bunten Götzenbildern her, deren Form an eine exponentielle Wachstumskurve erinnert, das Ideal ihres kapitalistischen Weltverhältnisses.

Mehrung 4 | Performative Installation | 6.5×10×10 m | 12 Performer:innen | 3 h | Böhler & Orendt 2013

Der Titel der Ausstellung nimmt Bezug auf die vierte Arbeit der Ausstellung, A MESS CAROL, AS TOLD BY A CANDID MIRROR (2013/2020), eine Kooperation von Burger, Böhler und Orendt. Der genannte „aufrichtige Spiegel“ bildet im räumlichen wie konzeptionellen Sinn das Zentrum des gesamten Ausstellungskonzepts. In einem dunklen Raum wird mit Hilfe einer improvisiert wirkenden technischen Konstruktion eine Geisterbeschwörung inszeniert. Die Apparatur lässt in einem Nebelschleier über einem „Beschwörungskreis“ einen von drei „Geistern“ abwechselnd mittels Videoloop im Spiegel für jeweils vier Minuten in Erscheinung treten. Die drei nebulösen Geisterwesen halten den Ausstellungsbesuchern in rhythmischen Litaneien den fatalen Einfluss der ehemals, gegenwärtig und zukünftig lebenden Menschen auf den Zustand der Welt vor. Dabei steigert sich das Schlamassel chronologisch immer weiter, um als THE MESS YET TO COME (das noch bevorstehende Chaos) in der Litanei des dritten Geists völlig absurde Ausmaße anzunehmen.

“A Mess Carol”, as told by a candid mirror | Videoinstallation | Glas, Holz, Parkett, Farbe, OLED-Screen, Rechner, Video, Sound | 12 min, 3×4.5×3 m | Böhler Burger Orendt 2020

Über die Künstler

Felix Burger, 1982 in München geboren, studierte Freie Kunst in München, Wien und Köln. Er war Stipendiat des International Studio & Curatorial Program in New York und an der Rijksakademie van beeldende kunsten in Amsterdam.

Matthias Böhler, 1981 in Aachen geboren, und Christian Orendt, 1980 in Sighisoara (Rumänien) geboren, arbeiten seit 2008 zusammen. Sie studierten an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg, an der Akademie der Bildenden Künste Wien (Böhler) und an der HGB Leipzig (Orendt). Sie erhielten den Bayerischen Kunstförderpreis und das Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds.

Über den Kunst- und Gewerbeverein

Als einer der ältesten Kunstvereine Deutschlands, gegründet 1838, ist er dem ursprünglichen Satzungsziel, der Förderung und Vermittlung der bildenden und angewandten Kunst, seit jeher verpflichtet. Naturgemäß hat sich sein Selbstverständnis über diesen langen Zeitraum gewandelt. Der Kunst- und Gewerbeverein Regensburg versteht sich heute als Stätte der Vermittlung aktueller Entwicklungen der bildenden und angewandten Kunst in ihren vielfältigen Ausprägungen. Das Ausstellungsprogramm mit ca. 6 - 7 Ausstellungen pro Jahr zeigt dahingehend ein klares Profil und umfasst in Kooperationen mit Institutionen der städtischen Kulturgesellschaft neben unterschiedlichen Themen- und Einzelausstellungen die Präsentation neuer Positionen der Gegenwartskunst.

Links

https://www.kunst-und-gewerbeverein.de

http://www.felix-burger.de

https://boehler-orendt.com