Laudatio

Sigismundkapelle | Lina Schobel und Paul Reßl 2023Lina Schobel und Paul Reßl: Kein Betrug nur Gegenwart im Zeitverzug

Vernissage: Dienstag 28. März 2023 um 19:30

Laudatio: Dr. Antonia Kienberger

Ausstellungsdauer: 29. März - 22. April 2023

Sigismundkapelle im Thon-Dittmer-Palais, Haidplatz 8, 93047 Regensburg

Öffnungszeiten
Mittwoch bis Freitag: 17 - 19 Uhr
Samstag: 11-16 Uhr und nach Vereinbarung

Medienecho
Regensburger Zeitung, 30. März 2023
Mittelbayerische Zeitung, 30. März 2023
Regensburger Zeitung, 8. April 2023

Neue Perspektiven in und auf Regensburg

Lina Schobel und Paul Reßl sind zwei interessante Neuzugänge in der Stadt. 2022 haben beide ihr Atelier im Künstlerhaus Andreasstadel bezogen. Für die Kunst- und Kulturszene sind diese jungen Menschen mit ihrem frischen Blick eine Bereicherung.

Paul Reßl ist 1992 in Schongau geboren, hat in Augsburg Kommunikationsdesign studiert und anschließend Bildende Kunst an der HBK Dresden. Seit bereits 2014 stellt Paul Reßl umfangreich und überregional aus. 2022 wurde er mit dem Kunstpreis der Stadt Günzburg geehrt.

Lina Schobel hat einen ähnlichen Weg vom ländlichen Raum hinein in die Großstadt zurückgelegt. Gleicher Jahrgang, gleicher Studienweg, hat ebenfalls 2021 ihr Studium an der HBK Dresden mit dem Diplom abgeschlossen. Seit 2016 nimmt sie an artist-in-residence-Programmen teil und hat sich in der kurzen Zeit auch hier in der Region schon einen Namen gemacht. Ich verweise hier nur auf den Ankauf der Stadt Amberg oder die Teilnahme von Lina Schobel an der Großen ostbayerischen Kunstausstellung 2022.

Sich mutig der Führung des Raums überlassen
Lina Schobel und Paul Reßl haben sich mit einem Konzept für diesen Raum im Rahmen des kulturellen Jahresthemas Höhenflug / Wolkenkuckungsheim beworben. – Ihre wunderbar formulierten Gedanken liegen hier in gedruckter Form aus. - Entgegen dem bekannten Motiv, dass das Kunstwerk in den Raum hinheinwirkt, überlassen sich hier beide vollkommen der Führung des Raums. Ein spannender Ansatz, zu dem ich Sie alle auch herzlich einladen möchte.

Viele von uns kennen den Raum wahrscheinlich sehr gut von den vielen Ausstellungen, die hier drinnen schon stattgefunden haben. Und natürlich arbeitet auch jeder Künstler mit den räumlichen Gegebenheiten, jedoch denke ich, dass uns hier Lina Schobel und Paul Reßl ein spannendes Angebot machen, denn ihr Blick auf den Raum ist noch neuer, frischer und mittels ihrer künstlerischen Interventionen können auch wir uns auf Entdeckungsreise machen und wieder neu sehen lernen.

Meditatives Einsehen in und mit Paul Reßls Arbeiten
Er sagt von sich, er habe schon als Kind immer gerne gebaut und gebastelt. Am liebsten Burgen und abenteuerliche Szenerien. Ein phantasievolles LEGO-Kind. Im Laufe seines Lebens hat sich sein Werk immer stärker purifiziert. Als minimalistisch – in Material, Farbe und Form – streng geometrisch, als sehr filigran habe ich seine Arbeiten erlebt, beispielsweise bei der 96. Jahresschau im Kunst- und Gewerbeverein.

Hier hat er sich auf die Linienführung der Sigismundkapelle eingelassen und ihrer Formensprache nachgespürt. Seine Arbeiten sind kompakter, vielleicht auch eine Spur spielerischer. Das empfinde ich gerade die Arbeiten an der Wand so, bei denen die Opakheit ein wesentliches Element darstellt und wo man sich einem als Betrachter die Vielfalt der Muster aus der Dunkelheit heraus erst in der Dauer des Hinsehens erschließen. Eine wunderbare Sehübung.

So ganz konnte Paul Reßl dann aber doch nicht aus deiner Künstlerhaut heraus – und das meine ich positiv – denn bei den Arbeiten am Boden und hier neben dem Eingang ist sein Spieltrieb, seine Hingabe an die Leichtigkeit – die der Raum nicht unbedingt sofort vermittelt – wieder voll da. Er experimentiert nach wie vor mit der Linienführung, verschiebt Kraftlinien, bündelt die Verbindungspunkte an anderer Stelle – und siehe da: Das System trägt sich selbst. Eine schöne Metapher – wie ich finde, die auch uns zu Experimenten – zumindest in Gedanken – anregen kann.

Lina Schobel lässt den Raum mit Teilen seiner Selbst kommunizieren
Lina Schobels Kunst hat mich den ganzen Monat März über begleitet – in Form des Kalenderblatts der Kunstkalenders, der vom Kulturreferats herausgegeben wurde. Beschwingt in der Formensprache und farbintensiv war ihre Komposition gut gewählt für das erneute Erwachen des Lebens nach dem Winter. Auf den ersten Blick habe ich hier in der Sigismundkapelle Lina Schobels Farben vermisst. Doch dann begann ich zu verstehen, dass auch sie sich dem Raum ausgesetzt, sich dem Raum anvertraut hat, uns sich dabei erst einmal zurückgenommen hat. Bei ihr traten in den Überlegungen für die Ausstellung hier stärker die formalen Elemente – das Design wenn man so will – in den Vordergrund. Fenster zum Beispiel, vergittert, die dem Raum nicht wirklich in der Funktion als Fenster dienen, die Nische oder Tür, oder die ausgesparten Elemente mitten in der Wand.

Lina Schobel hat die Form dieser Raumöffnungen abgenommen, abgewandelt, anders platziert. So kommuniziert der Raum quasi mit seinem Abbild, genauer, mit einzelnen Elementen seines Abbildes.

Kein Spiegelbild, sondern ein Teil des alten in einer neuen Position, in einem veränderten Outfit. Lina Schobel präsentiert uns hier eine Versuchsanordnung zu Fragen der Ästhetik, der Funktionalität und letztendlich auch der Vergänglichkeit. Womit wir beim Thema Zeit wären, das in der wunderschönen Formulierung von Herta Müller der Ausstellung den Titel gab: Kein Betrug nur Gegenwart im Zeitverzug.

Alles funktioniert - nur anders

Das Ziel, das sich Lina Schobel und Paul Reßl gesetzt haben ist, mit dem Raum, seiner Funktionalität bzw. Dysfunktionalität und unserer Wahrnehmung zu spielen. Wie mit dem Copy-and-paste-Verfahren wählen sie Elemente aus, kopieren sie und fügen sie an anderen Stellen wieder ein. An Stellen, an denen sie weiterführen, neue Akzente setzen oder an Stellen an denen sie irritieren und unsere Wahrnehmung sensibilisieren. Zu diesem Experiment möchten Lina Schobel und Paul Reßl Sie herzlich einladen.

Zur Überleitung in den Vernissagenabend möchte ich mit den Gedichtzeilen von Herta Müller schließen:

Der erste Vogel den ich sah
war ein Taschentuch im Wind ---
kein Betrug nur
Gegenwart im Zeitverzug

[Herta Müller: Vater telefoniert mit den Fliegen
Hanser Verlag, 2012]

Weiterführende Informationen

www.regensburg.de/sigismundkapelle

https://linaschobel.de/

https://www.paulludwigressl.com/

Bildnachweis: Dr. Antonia Kienberger, Lina Schobel, Paul Reßl, Susanne Gatzka (Foto: Claudia Erdenreich)